Rede zur Verabschiedung des Haushaltes 2022

gehalten von unserem Fraktionsvorsitzenden Dr. Günter Herweg:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, werte Kolleginnen und Kollegen des Rates,
sehr geehrte Damen und Herren,

„Wir können tiefer“. Dies ist bekanntlich der feinsinnige und hintergründige Slogan der Stadt Langenfeld, um, vor allem in der Region, wechselwillige Unternehmen anzuwerben. Inzwischen steht dieser Slogan allerdings nicht nur für sinkende Gewerbesteuer-Hebesätze, sondern auch für ins Tiefrote fallende Haushaltsdefizite. Konkret in diesem Jahr ein Defizit von 17,8 Mio EUR, in den drei folgenden Jahren jeweils Defizite zwischen 14 und 16,8 Mio EUR. Schlussfolgerung des Kämmerers: „Die liquiden Mittel sind gemäß Finanzplan 2023 aufgebraucht.“ „Mit der Kreditaufnahme [beginnend in 2023] würde die Schuldenfreiheit der Stadt Langenfeld enden.“ Zitat Ende. Deutlicher kann man die aktuelle Problemlage kaum beschreiben!
Demgegenüber klingen die finanzpolitischen Ziele, die mit dem heutigen Beschluss des Haushalts ebenfalls bekräftigt werden, wie Hohn. Heißt es doch tatsächlich:
• […] Zusätzlich soll die Ausgleichsrücklage in einer solchen Höhe vorgehalten werden, dass bei Eintritt von Haushaltsrisiken mittelfristige Haushaltsverschlechterungen aufgefangen werden können.
• Die erreichte Entschuldung ist dauerhaft zu sichern.
• […](Liquide Mittel) sind so auszugestalten, dass sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zur Finanzierung der künftigen Investitionen des Finanzplanes herangezogen werden können.
Sätze, die aus der Zeit gefallen scheinen. Und diejenigen, die heute diesem katastrophalen Haushalt zustimmen, müssen sich fragen lassen, wie sie eigentlich das „Ja“ zum Haushalt mit diesen finanzpolitischen Zielen vereinbaren können.
Dabei ist es ja nicht so, dass uns die jetzige Defizitwelle quasi über Nacht ereilt hätte. In Wirklichkeit hat sie sich seit dem Jahr 2019, dem Jahr der ersten Stufe der Steuersenkungen und dann verstärkt ab 2020, in der mittelfristigen Finanzplanung langsam aber stetig aufgebaut. Aber nicht alle wollten es rechtzeitig wahrhaben!
Im Gegensatz zum Bürgermeister und den Fraktionen, die die Haushaltspolitik der letzten vier Jahre tragen, halten wir GRÜNE das Zusammenfallen der Haushaltsprobleme mit dem Inkrafttreten der Steuersenkungen, insbesondere der Senkung der Gewerbesteuer, für keinen Zufall. Sondern sehen in der Beschneidung der Einnahmen die wesentliche Ursache für die jetzige Misere. So sieht es auch die Gemeindeprüfungsanstalt, die (für ihren Bericht 2020) festhält: „Eine Ursache [für die abnehmenden Erträge] sind die geplanten Hebesatzreduzierungen bei der Gewerbesteuer und den Grundsteuern A und B.“ Natürlich tat Corona dann in den letzten zwei Jahren ein Übriges.
Damit widersprechen wir aber auch entschieden der naiven Behauptung, die aktuellen Probleme seien ausschließlich auf zu hohe Ausgabenansätze in den Haushaltsplänen zurückzuführen. Verbunden mit dem Vorwurf, für diese Ausgabenansätze sei der Rat mit seinen vielen überflüssigen Wünschen verantwortlich. Die Wirklichkeit sieht anders aus:
Im Dezember hat der Bürgermeister, ohne Beteiligung von Rat und Ausschüssen, den Haushaltsentwurf mit einem Defizit von 12,6 Mio EUR in den Rat eingebracht. Für dieses bereits zu Beginn der Beratungen eingeplante Defizit trägt allein der Bürgermeister die Verantwortung. Ebenso wie für die nachträglichen, ebenfalls von der Verwaltung eingebrachten zusätzlichen Ausgaben in Höhe von weiteren ca. 5 Mio EUR.
Die jetzt über die Presse verbreitete Behauptung, der Rat habe es an notwendiger Priorisierung und Einsparung fehlen lassen, ist geradezu grotesk und entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Tatsächlich haben die Ausschüsse – also „die Politik“, lediglich weitere Ausgaben in Höhe von ca. 800.000 EUR beschlossen. Davon allein 500.000 EUR für die Rücknahme überzogener Kürzungen beim Betriebshof und die Anschaffung von Luftfiltern für die Schulen. Dazu weitere, im Wesentlichen kleinere Korrekturen, u.a. den lange versprochenen Wegfall der Hallenbenutzungsgebühr. An dieser Stelle Danke an die FDP, die den Beschluss des Fachausschusses in diesem Jahr akzeptiert hat.
Ein Rückblick auf die Einbringung und Beratung stellt sich zwangsläufig die Frage, wie das denn alles sein kann. Der Bürgermeister spricht beständig von einem Ausgabenproblem und legt selber einen Haushalt vor, bei dem die Ausgaben die Einnahmen um 17 Mio EUR übersteigen? Entweder stellt der Bürgermeister also selber überflüssige bzw. nicht umsetzbare Ausgaben in den Haushalt ein und handelt entgegen seiner eigenen Problembeschreibung oder er kümmert sich bei notwendigen Ausgaben nicht um eine entsprechende Deckung auf der Einnahmenseite.
Die dritte Möglichkeit ist, es geht hier gar nicht um den Austausch in sich stimmiger Argumente und um eine Fehlersuche anhand der Fakten, sondern um das Werfen von Nebelkerzen und um das Wegschieben der Verantwortung für eine fatale Fehlentscheidung in Bezug auf die Steuersekungen.

Ich glaube, bei allen Ratsfraktionen, nicht nur bei der GRÜNEN Fraktion, gibt es inzwischen ein mehr oder weniger großes Unbehagen und eine erhebliche Unzufriedenheit nicht nur in Bezug auf die Situation der städtischen Finanzen, sondern auch bezüglich der Art und Weise, wie die Haushaltsberatungen im letzten und in diesem Jahr abgelaufen sind. Deshalb möchte ich nochmal betonen, dass die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es für dringend erforderlich hält, unmittelbar nach den jetzt zu Ende gehenden Beratungen zum Haushalt 2022 in beharrliche Gespräche aller Fraktionen mit der Verwaltung einzutreten, um zuerst die Rahmenbedingungen für die Haushaltsberatungen neu zu definieren. Darauf möchte ich an dieser Stelle aber nicht im Detail eingehen.

Für den Haushalt 2023, den wir ja seitens der Politik schon ab August/September beraten werden, möchte ich aber bereits jetzt auf folgende Punkte hinweisen:

  1. In den letzten Tagen war oft das Wort von der Verantwortung des Rates zu hören. Unsere Fraktion nimmt diese Verantwortung ernst. Deshalb haben wir im letzten Dezember, zeitgleich mit der Einbringung des Haushaltsentwurfs, den Antrag auf eine Rücknahme der Gewerbesteuersenkung in zwei Stufen gestellt. Dies allein hätte bereits im laufenden Jahr das Defizit um ca. 5 Mio und im nächsten Jahr um ca. 10 Mio EUR reduziert. Leider wurde dies von den anderen vier Fraktionen abgelehnt. Deshalb erwarten wir ausdrücklich von diesen Fraktionen, sich ebenfalls ihrer Verantwortung zu stellen und für die nächsten Haushaltsberatungen konkrete Alternativvorschläge auf den Tisch zu legen. Nein-Sagen zu unseren Vorschlägen wird dann nicht mehr reichen!
  2. Gleiches erwarten wir von der Verwaltung. Die erneute Vorlage eines nicht ausgeglichenen Haushaltsentwurfs 2023 halten wir in der jetzigen Situation für nicht akzeptabel! Wer meint, Einnahmen kürzen zu können, der muss dann auch nachweisen, dass trotzdem noch ein ausgeglichener Haushalt möglich ist und zu welchem Preis für die Bürgerinnen und Bürger!
  3. In diesem Haushalt sind wieder einmal existentielle Themenfelder für die nächsten Jahre im Haushalt unterrepräsentiert oder fehlen ganz. Deshalb werden wir vor und in den nächsten Haushaltsberatungen eine Diskussion über wichtige Ziele der Kommunalpolitik und ihre Auswirkungen auf den Haushalt anstoßen und laden alle Fraktionen ein, mit uns zu folgenden Zielen in den Dialog einzutreten:

• In welcher Zeit und mit welchen Kosten wollen wir eine echte Bedarfsdeckung bei der    Kinderbetreuung erreichen (Kita, OGS)?
• Mit welchem Zeitrahmen und welchen Haushaltsmitteln erreichen wir einen effektiven Hochwasserschutz für die Bevölkerung?
• Wie hoch ist der energetische Sanierungsbedarf bei städtischen Liegenschaften und wie setzen wir die Sanierungen zeitlich und finanziell um?
• Wie und mit welchen Mitteln beginnen wir mit dem Schutz des Grundwassers?

Allen gemeinsam ist, dass wir endlich dazu kommen müssen, bei den Zukunftsfragen klare Ziele für unsere Stadt zu benennen. Außerdem den Zeitrahmen und eine realistische Planung der notwendigen Finanzmittel. Es muss Schluss sein mit vagen Versprechungen, dem jährlichen Kopieren unveränderter Prioritätenlisten und kleinteiligen Schritten nach Kassenlage.
Meine Damen und Herren, am Schluss meiner Rede die nicht ganz unerwartete Aussage, dass wir dem vorgelegten Haushalt nicht zustimmen werden. Aber ich möchte nochmal den Kreis zu meinem anfänglichen Hinweis zum Werbeslogan schließen. Der Satz „Wir können tiefer“ prangt auf einem Plakat, das die Momentaufnahme eines Menschen zeigt, der ins Wasser eintaucht, unter die Wasserlinie, die mit den 360 Prozentpunkten gleichgesetzt ist. Was passiert, wenn er in der neuen Tiefe, unterhalb der Wasserlinie, nicht mehr atmen kann? Er taucht wieder auf. Zurück in die Umgebung, in der er Luft zum Leben hat.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(es gilt das gesprochende Wort)